Gotthold Ephraim Lessing
Seine Fabel
Der Rabe und der Fuchs
Originalzitat der Fabel
Ein Rabe trug ein Stück vergiftetes Fleisch, das der erzürnte Gärtner für die Katzen seines Nachbars hingeworfen hatte, in seinen Klauen fort. Und eben wollte, er es auf einer alten Eiche verzehren, als sich ein Fuchs herbeischlich und ihm zurief: »Sei mir gesegnet, Vogel des Jupiters!«
»Für wen siehst du mich an?« fragte der Rabe. »Für wen ich dich ansehe?« erwiderte der Fuchs. »Bist du nicht der rüstige Adler, der täglich von der Rechten des Zeus auf diese Eiche herabkommt, mich Armen zu speisen? Warum verstellst du dich? Sehe ich denn nicht in der siegreichen Klaue die erflehte Gabe, die mir dein Gott durch dich zu schicken noch fortfährt?«
Der Rabe erstaunte und freute sich innig, für einen Adler gehalten zu werden. Ich muss, dachte er, den Fuchs aus diesem Irrtum nicht bringen. - Großmütig dumm ließ er ihm also seinen Raub herabfallen und flog stolz davon.
Der Fuchs fing das Fleisch lachend auf und fraß es mit boshafter Freude. Doch bald verkehrte sich die Freude in ein schmerzhaftes Gefühl; das Gift fing an zu wirken, und er verreckte.
Möchtet ihr euch nie etwas anders als Gift erloben, verdammte Schmeichler!
Wann entstand die Fabel "Der Rabe und der Fuchs"?
Die Fabel "Der Rabe und der Fuchs" wurde um 1759 von Gotthold Ephraim Lessing verfasst und ist Teil seiner Bemühungen, die klassische Fabel für die Aufklärung neu zu interpretieren. Diese Fabel gehört zu seiner berühmten Fabelsammlungen seiner Sammlung "Fabeln. Drey Bücher", die darauf abzielen, moralische und gesellschaftliche Lehren in prägnanter und ansprechender Form zu vermitteln.
Worum geht es in der Fabel?
In der Fabel "Der Rabe und der Fuchs" von Gotthold Ephraim Lessing geht es um einen Raben, der ein Stück vergiftetes Fleisch trägt. Ein Fuchs, der das Fleisch begehrt, schmeichelt dem Raben, um ihn dazu zu bringen, das Fleisch fallen zu lassen. Die Fabel endet mit einer ironischen Wendung, da der Fuchs das Fleisch auffängt und daran stirbt, was die Gefahren der Schmeichelei und die Bedeutung von Ehrlichkeit hervorhebt.
Inhalt / Handlung der Fabel
In der Fabel "Der Rabe und der Fuchs" von Gotthold Ephraim Lessing steht ein Rabe im Mittelpunkt, der ein Stück vergiftetes Fleisch ergattert hat. Er sitzt hoch auf einem Baum und ist stolz auf seinen Fund. Der Fuchs, der auf der Suche nach Nahrung ist und das Fleisch begehrt, nähert sich dem Raben und beginnt, diesen zu schmeicheln, in der Hoffnung, dass der Rabe das Fleisch fallen lässt.
Der Fuchs lobt den Raben übermäßig für sein prächtiges Federkleid und seinen festen Schnabel, suggeriert jedoch, dass ein perfektes Wesen wie der Rabe sicherlich auch eine wunderschöne Stimme haben müsse. Geschmeichelt von diesen Worten und in dem Wunsch, auch diese letzte vermeintliche Tugend zu demonstrieren, öffnet der Rabe seinen Schnabel, um zu singen. Dabei lässt er unweigerlich das Fleisch fallen, welches der Fuchs sogleich geschickt auffängt.
Die Fabel endet mit einer bitteren Lehre für den Raben und einer ironischen Wendung für den Fuchs. Der Rabe erkennt zu spät, dass er durch Schmeichelei zu einem unüberlegten Handeln verleitet wurde. Der Fuchs, der das vergiftete Fleisch frisst, stirbt kurz darauf. Lessings Fabel mahnt, dass sowohl Eitelkeit als auch die Gier nach Lob und Anerkennung gefährlich sein können, und unterstreicht die Bedeutung von Ehrlichkeit und kritischem Denken gegenüber Schmeicheleien.
Interpretation
Schwächen wie Eitelkeit und die Anfälligkeit für Schmeichelei untersucht. Die Geschichte illustriert auf eindrückliche Weise, wie Schmeichelei dazu benutzt werden kann, um jemanden zu manipulieren und zu täuschen. Der Fuchs, der den Raben dazu bringt, das vergiftete Fleisch fallen zu lassen, indem er seine Eitelkeit anspricht, verkörpert die List und die Manipulation. Er nutzt die Schwäche des Raben aus, der das Bedürfnis hat, von anderen bewundert zu werden. Dies spiegelt eine allgemeine menschliche Neigung wider, Anerkennung zu suchen, oft auch auf Kosten der eigenen Sicherheit oder Integrität.
Die ironische Wendung am Ende, bei der der Fuchs durch das von ihm erschlichene, aber vergiftete Fleisch stirbt, verleiht der Fabel eine zusätzliche Dimension der Moral. Es zeigt, dass die Nutzung unehrlicher Mittel zur Erreichung eigener Ziele letztlich zum eigenen Nachteil führen kann. Diese Wendung unterstreicht Lessings Kritik an der Oberflächlichkeit und Falschheit sozialer Interaktionen, in denen Individuen andere täuschen oder manipulieren, um selbst Vorteile zu erlangen. Die Moral der Geschichte erinnert uns daran, dass wahre Integrität und Aufrichtigkeit langfristig wertvoller sind als kurzfristige Gewinne durch Täuschung und Manipulation.
Die Fabel „Der Rabe und der Fuchs“ lehrt also nicht nur über die Gefahren der Eitelkeit und der Schmeichelei, sondern warnt auch vor den Folgen unethischen Verhaltens. Lessing nutzt die Charaktere des Raben und des Fuchses, um auf einfache aber effektive Weise zu demonstrieren, wie leicht es ist, in die Falle der Eitelkeit und des betrügerischen Schmeichelns zu tappen. Dies führt zu einer umfassenden Betrachtung menschlicher Interaktionen und der Bedeutung ethischer Grundsätze in sozialen Beziehungen. Die Fabel dient als Spiegel für die Gesellschaft und ruft zur Selbstreflexion und zu einem bewussteren Umgang mit den eigenen Schwächen und den Absichten anderer auf.
Sprachliche und stilistische Mittel:
In Gotthold Ephraim Lessings Fabel „Der Rabe und der Fuchs“ zeigt sich der stilistische Einfluss der Aufklärung deutlich in der präzisen und klaren Sprache, die darauf abzielt, eine moralische Lektion zu vermitteln. Lessing verwendet verschiedene sprachliche und stilistische Mittel, um die Handlung lebendig zu gestalten und die moralische Botschaft zu verstärken.
Metapher und Symbolik: Die Charaktere in der Fabel, der Rabe und der Fuchs, sind nicht nur Tiere, sondern symbolisieren menschliche Verhaltensweisen. Der Rabe steht für Eitelkeit und Leichtgläubigkeit, während der Fuchs List und Berechnung verkörpert. Diese Symbolik verstärkt die universelle Botschaft der Geschichte, dass äußere Schmeichelei oft trügerisch ist und zu unüberlegten Entscheidungen führen kann.
Ironie: Ein zentrales stilistisches Element in dieser Fabel ist die Ironie, besonders in der Darstellung des Endes. Der Fuchs, der den Raben durch Schmeichelei manipuliert, fällt letztlich selbst einem tragischen Schicksal zum Opfer, da das Fleisch vergiftet ist. Diese Wendung wird ironisch dargestellt, denn der Fuchs, der scheinbar erfolgreich in seinem Betrug war, wird letztlich zum Opfer seiner eigenen Gerissenheit.
Dialog und direkte Rede: Lessing nutzt den Dialog geschickt, um die Persönlichkeiten der Tiere herauszuarbeiten und die Handlung voranzutreiben. Durch die direkte Rede des Fuchses, die voller Schmeichelei und Überredungskunst ist, wird seine manipulative Natur verdeutlicht. Der Rabe hingegen antwortet in weniger komplexen Sätzen, was seine Naivität und Einfachheit unterstreicht.
Diese sprachlichen und stilistischen Mittel tragen wesentlich dazu bei, die Lehre der Fabel zu vermitteln und den Leser sowohl emotional als auch intellektuell zu engagieren. Lessings Fähigkeit, komplexe menschliche Verhaltensweisen in die einfache Struktur einer Tierfabel zu integrieren, macht diese Geschichte zu einem zeitlosen Werk, das auch heute noch relevant ist.